Beate Hansen Prösitz

Texte

Katalogtext zu meinem Stipendium in Künstlerhaus Prösitz 1998

In meiner künstlerischen Herangehensweise komme ich von der Plastizität, vom Umraumbezug und vom Material-Charakter eines Körpers. Für die Umsetzung bevorzuge ich amorphe Materialien.

Für meine Boden und Wandplastiken verwende ich oft Gips, mit mineralischen Zusätzen versehen. Diese Arbeiten haben eine einfache geometrische Grundform. Die Oberfläche, die in den Raum weist, ist bewegt und mit der Hand aufgetragen. Dann gibt es die kleineren Wandobjekte, für die ich Dämm- oder Sperrholzplatten mit gewachstem Papier beschichte. Darauf trage ich linienförmige Zeichnungen mit farbiger Acrylfarbe oder Buntstift auf. Meine spontanste Arbeitsweise ist die Zeichnung auf Papier.

Mit diesen Arbeitsformen begann ich meinen dreieinhalbwöchigen Aufenthalt in Prösitz.

Ich fühlte mich ein wenig fremd - zum ersten Mal war ich im Osten Deutschlands - und ich hatte ungewohnt viel Zeit für meine künstlerische Arbeit. Die Geschichte der dort lebenden Menschen, die sich in vielen Punkten von meiner eigenen (westdeutschen) Geschichte unterschied, hat mich sehr beschäftigt. Die Familie Schulz nahm mich und meine zwei Kinder in ihr persönliches Leben auf. So entstand intensive Tuchfühlung. Zudem war ich umgeben von dem sehr regen Aufbau des Künstlerhauses.

Beschäftigt haben mich die Ränder. In meinen Zeichnungen finden sich oft organische Formen, Linien wie Flußläufe oder wie die Außenform eines Einzellers. Die Fläche der Linie behandelte ich wie die Fläche des Umraumes. Dadurch vermied ich eine Tiefenwirkung und versuchte, das Material der Arbeit, gleichwertig zu Form und Farbe, spürbar zu machen. In Prösitz hat es zudem Orte in der Zeichnung gegeben, die keiner der beschriebenen Flächen eindeutig zuzuordnen waren - die Ränder. Sie sind ein eigener - und sehr spannender Ort.

Vielleicht fühlte ich mich in dem „Bildhauerhaus“ in Prösitz mit meinen kleinen Zeichnungen zu fremd, und die Arbeit an einer großen Plastik bot sich in diesem Umfeld an - die zweite Hälfte meines Aufenthaltes galt einer großen Bodenarbeit in Gips, deren organische Bewegung sich in den Raum öffnete und sich gleichzeitig innerhalb der abgeschlossenen plastischen Form bewegte. Auch hier ein neues Element: die Begrenzung in der geometrischen Grundform wich einem ebenfalls organischen Grundriß.

Prösitz, Juni 1998 - Beate Hansen

Katalogtext zu meinem Stipendium in Künstlerhaus Prösitz 2001

Ich habe einen Traum, dass eines Tages die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen werden. Ich habe einen Traum, dass eines Tages jedes Tal erhöht wird und jeder Hügel und jeder Berg erniedrigt wird. Die rauhen Orte werden geglättet und die unebenen werden begradigt. Die Herrlichkeit des Herrn wird offenbar werden und alles Fleisch wird es sehen. Mit diesem Glauben werden wir fähig sein, zusammen zu arbeiten, zusammen zu beten, zusammen zu kämpfen, zusammen ins Gefängnis zu gehen, zusammen für die Freiheit aufzustehen in dem Wissen, daß wir eines Tages frei sein werden...“

aus der Rede „I have a dream“ von Martin Luther King am 28. August 1963 vor 250 000 Menschen, Schwarzen und Weißen, die im Sternmarsch nach Washington gekommen waren, um gegen die Ungleichbehandlung der schwarzen Bevölkerung in den USA zu demonstrieren.

Der innere Ort, der die Substanz für meine künstlerische Formsprache bildet, hat sich aufgebaut und immer wieder erweitert durch gespeicherte Bilder und Erinnerungen - Naturerlebnisse, Erfahrungen mit mir selbst in intensiven Lebensmomenten, in Bewältigungssituationen, in Stimmungen, in Konzentration.

Der Herbst 2001 stand unter dem Eindruck von Terror in einem nicht für möglich gehaltenen Ausmaß, der Suche nach Möglichkeiten, Terror zu dämmen, dem Krieg gegen das Land Afghanistan, der Destabilisierung der umliegenden Region sowie noch nicht überschaubarer zukünftiger politischer und militärischer Maßnahmen. Mein Nachdenken über Weltgesellschaft, Weltwirtschaft und Weltpolitik hat über weite Strecken die Reflektion über andere Lebens- (und Kunst-) Bereiche überlagert. In den ersten Wochen nach den Anschlägen in den USA war es ein Informieren über Verständnisse von Religion und Politik in unterschiedlichen arabischen Staaten, über westliche Wirtschaftsinteressen in dieser Region, über amerikanische Aktivitäten insbesondere in Afghanistan, in den vorausgegangenen Jahren.

Ich habe mich passiv gefühlt, gelähmt durch eine von mir kaum überschaubare Komplexität der Sachverhalte, aber auch dadurch, daß die Interessengruppen in diesem Konfliktgefüge Standpunkte vertreten, die mir nicht nur spontan fremd sind, sondern für die ich nach aller Information keinen Widerhall in mir selber gefunden habe. Das betrifft die Strategie der Al-Kaida, das betrifft das Selbstverständnis der Amerikaner in Bezug auf ihre Vormachtstellung. Das betrifft letztlich auch die positive Einstellung zur Selbstregulierung der globalen Finanz- und Wirtschaftsmärkte, insbesondere in Bezug auf die sozialen Auswirkungen in den unterschiedlichen Ländern.

Der innere Ort, der die Substanz für meine soziale und politische Haltung bildet, hat sich in den 70ger Jahren im Westen Deutschlands aufgebaut. Es waren Werte wie soziale Gerechtigkeit und Solidarität mit Benachteiligten, basierend auf christlichem Gedankengut, und das Einbringen von politischen Anliegen durch Interessengruppen in ein demokratisches System. Ich habe mir Standpunkte erarbeitet, habe ähnlich Gesinnte gefunden und mich kompetent genug gefühlt, innerhalb des nationalen Kontextes sozial und politisch aktiv zu werden.

Globale Wirtschaftsverflechtung und Politik stellt hohe Anforderungen an die Menschen in den unterschiedlichen Ländern, Vorgänge wie die des 11. Septembers als sie selbst betreffend und als von ihnen beeinflußbar zu erleben. Wir müssen sehen, daß wir ein Teil dieses Konfliktgefüges sind, und uns der Anforderung, einen eigenen Standpunkt zu erarbeiten und zu vertreten, nicht entziehen können.

Krefeld, Januar 2002 - Beate Hansen